Im Gespräch mit Dr. Stefan Naas

Dr. Stefan Naas (49) ist FDP-Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Herbst 2023. Von 2009 bis 2018 war Naas Bürgermeister von Steinbach, seit 2019 ist der studierte Jurist Mitglied des Hessischen Landtags. Wir sprechen über den nötigen Paradigmenwechsel in der hessischen Landespolitik, die inhaltliche Ausrichtung der Freien Demokraten im Wahlkampfjahr und seinen Blick auf die Metropole Frankfurt am Main.
In Hessen wurden die Parkscheibe und das Raketenauto erfunden. Deine Forderung, in Zukunft mehr an Raketenautos und weniger an Parkscheiben zu arbeiten, stößt unter Wählern und Mitgliedern auf Beifall. Was muss sich ändern, damit uns das gelingt?
Die Parkscheibe ist zwar eine schöne Erfindung, regelt aber nur den Status Quo. Das Raketenauto hingegen ist echter Fortschritt. Die Parkscheibe verteilt Vorhandenes neu, das Raketenauto macht Dinge schneller. Hinter dieser Forderung steckt also nicht weniger als ein Paradigmenwechsel: Die Leidenschaft für Innovation und zukunftsträchtige Erfindungen muss gegenüber dem Regulierungsdenken wieder die Überhand gewinnen. Hier sind wir leider in eine ganz falsche Richtung unterwegs. In den vergangenen neun Jahren hat die schwarz-grüne Landesregierung allein in den hessischen Ministerien rund 1.000 neue Beamtenstellen geschaffen, für den Fortschritt des Landes aber nicht viel getan. Es wird unsere Aufgabe sein die hessische Bürokratie wieder auf ein gesundes Maß zu stutzen, um sie langfristig funktionsfähig zu halten.
Ein offen antisemitisch auftretendes Künstlerkollektiv sorgte auf der documenta 2022 für einen Skandal. Wie viel Provokation muss eine liberale Gesellschaft aushalten und wo wurden Grenzen überschritten?
Wir müssen bei der documenta zwischen der juristischen und der politischen Perspektive unterscheiden. Auf der documenta wurden Kunstwerke ausgestellt, die ich für hochgradig geschmacklos halte. Doch persönlicher Geschmack begründet keinen Skandal. Kunst muss in einer liberalen Gesellschaft vieles aushalten, aber sie muss weder gefallen, noch unpolitisch sein oder die politische Auffassung ihrer Betrachter treffen. Alle in Kassel ausgestellten Kunstwerke waren von der Kunstfreiheit gedeckt, so verstörend wir sie auch finden. Und natürlich wissen wir, dass antisemitische Kunst immer wieder den Weg in private Wohnzimmer und Galerien findet.
Der Skandal liegt in der gesellschaftspolitischen Betrachtung. Dass hessische und deutsche Steuergelder herangezogen wurden, um antisemitische Kunst zu finanzieren und in einem öffentlichen Raum zur Schau zu stellen, ist unerträglich. Hier wurde eine einst stolze Ausstellung in den Strudel antisemitischer Propaganda gezogen. Dabei hatten wir der zuständigen Landesministerin Angela Dorn frühzeitig signalisiert, dass Antisemiten auf der documenta eine Bühne suchen würden. Doch sie zeigte keinerlei Reaktion und wollte die documenta einfach nur aussitzen. Diese organisierte Verantwortungslosigkeit schockierte mich genauso wie das Wegducken von Claudia Roth. Denn auch die Kulturstaatsministerin im Bundeskanzleramt schwieg beharrlich, obwohl sie sich sonst zu allen denkbaren Themen äußert. Das wirft ein schlechtes Licht auf ihre Amtsführung und war der zweite Skandal im Rahmen der documenta. Wenn Steuergelder eingesetzt werden, um Hass und Hetze zu finanzieren, können wir unsere Hände nicht in den Schoß legen und so tun, als ob wir damit nichts zu tun hätten. Wir müssen und werden darauf achten, dass sich solche Auswüchse nicht mehr wiederholen. Im Übrigen gibt der Abschlussbericht des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen uns dabei vollkommen Recht. Die Verantwortlichen haben bei der documenta zu lange nur zu zugeschaut.
2018 führte die FDP in Hessen einen Wahlkampf, der vor allem auf soziale Themen wie frühkindliche Bildung setzte. Dein Schwerpunkt liegt klar auf Wirtschaftspolitik. Was macht diesen Akzentwechsel nötig?
Es war richtig, dass René Rock die frühkindliche Bildung in den Mittelpunkt gestellt hat. Denn Bildung ist die Grundlage unserer Gesellschaft und unseres Wohlstands. Sie ist auch nicht unwichtiger geworden und es ist sehr gut, dass wir gemeinsam mit René für dieses Thema kämpfen. Aus der Opposition heraus haben wir sogar einige Erfolge erreichen können.
Aber: Nachdem wir recht gut aus einer schweren Krise gekommen sind, stehen wir jetzt vor der Aufgabe, Wachstumsimpulse zu setzen und die Erholung zu ermöglichen. Das wird uns nur gelingen, wenn wir die Innovations- und Wirtschaftskraft in den Blick nehmen. Vier von zehn hessischen Straßen und Brücken sind in schlechtem oder sehr schlechtem Zustand, das kann so nicht bleiben. Wir müssen über die Staatsquote reden, Menschen entlasten, die Verwaltung verschlanken, günstiger machen und digitalisieren. Die FDP als Vertreterin der Fleißigen und Aufstiegswilligen ist gefordert, den Fokus vom Umverteilen auf das Erwirtschaften zu lenken.
Gemeinsam mit Martin Hagen, der die FDP in Bayern in die Landtagswahl führen wird, hast du ein Sechs-Punkte-Papier unter dem Motto „FDP pur“ vorgelegt. Welche Erwartungen richtet ihr vor den wichtigen Wahlen, die zeitgleich stattfinden werden, an den Bund?
In unserem gemeinsamen Papier bringen wir die Erwartung zum Ausdruck, dass das Wohlergehen unserer Wirtschaft stärker in den Blick genommen wird. Es ist ein Wesenszug liberaler Politik, Unternehmen innerhalb eines klaren und schlanken Rahmens in Ruhe arbeiten zu lassen. Das schafft die Möglichkeit Erfolge zu erzielen und Gewinne zu erwirtschaften, die die Grundlage für Investitionen und unsere kräftigen Steuern bilden. Konkret geht es uns um vernünftige Lösungen in der Energiepolitik, das heißt eine Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke sowie eine stärkere Nutzung heimischer Gasvorkommen und Geothermie. Wir benötigen Steuersenkungen für Bürger und Unternehmen, Klimaschutzinnovationen statt Ideologie und das konsequente Einhalten der Schuldenbremse. Statt immer neue Sozialausgaben zu erfinden, müssen wir Geld in die Bildung umschichten. Wir wollen vom Verbrennerverbot wegkommen und synthetische Kraftstoffe mit in den Blick nehmen. Wir sind angewiesen auf ein Planungsbeschleunigungsgesetz, ein Bürokratieabbaugesetz und ein klares Bekenntnis zum Wiederaufbau unserer Infrastruktur – denn allein bei der Bahn fehlen 80 Mrd. Euro für die Sanierung der Strecken. Und natürlich heißt es auch, nach 15 Jahren konservativen Stillstands Zuwanderung endlich besser zu steuern.
Ist die Absage an ein Tempolimit eine Aussage, die du unter FDP pur verstehst?
Ohne Wenn und Aber! Das Tempolimit ist eine klare Freiheitsfrage. Ich fahre zwar in der Regel nicht schneller als 140 und nutze das Recht zum schnellen Fahren selten, bin aber froh, dass es wenigstens ein Land in Europa gibt, das diese grauen Schilder bietet. Es appelliert an die Eigenverantwortung und ist damit ein gutes Schild. Ob es nun ein rationales oder irrationales Argument ist, interessiert mich ehrlich gesagt nicht. In Deutschland ist so viel reglementiert, dass wir nicht eine der wenigen Freiheiten, die wir im Gegensatz zu fast allen Ländern dieses Planeten haben, auch noch einschränken müssen.
Etwa jeder zehnte hessische FDP-Wähler lebt in Frankfurt, noch einmal so viele pendeln und arbeiten vermutlich in Hessens Metropole. Mit welchen Themen willst Du diese Wähler erreichen?
Ich bin überzeugt davon, dass der Schwerpunkt auf Wirtschaft, Infrastruktur und Bildung auch in Frankfurt die Menschen bewegt. Frankfurt lebt wie keine andere Stadt von Handel, Industrie, Infrastruktur und guter Erreichbarkeit. Doch die Landesregierung hat in den vergangenen Jahren nichts für den Finanzplatz oder das industrielle Rückgrat getan. Im Ergebnis sehe ich unheimlich viele Bereiche, in denen die FDP einen Unterschied machen kann. Ohne jeden einzelnen Punkt aufzählen zu wollen, möchte ich doch einige nennen: Frankfurt ist ein Zwerg in Sachen Fintechs und hat eine müde Start-up-Kultur gemessen an der Bedeutung des Wirtschaftsstandorts. Wollen wir das ändern, gilt es in der finanziellen Bildung aufzuschließen, den Erzieherberuf aufzuwerten, das Fach Wirtschaft an den Schulen zu etablieren und Informatik zu stärken. Die Attraktivität der Berufsschulen muss steigen und der Fachkräftemangel sinken, auch über eine kluge Lenkung von beruflicher Zuwanderung. Darüber hinaus müssen wir die Straßen ausbauen, neben dem Lückenschluss der A66 am Riederwald etwa über den fünfspurigen Ausbau der A5. Last but not least schläft die Landesregierung auch bei der Schaffung von Wohnraum im Ballungsgebiet – denn Grüne mögen keine Neubaugebiete, machen Bauen teuer und sorgen für knappe Ressourcen wie Sand, Kies und Wasser. All das sind Themen, die Frankfurt bewegen, und bei denen wir in Wiesbaden angreifen können.
Wie beurteilst Du aus der Ferne die Frankfurter Stadtregierung, unter der die FDP erstmals seit 40 Jahren den Weg in eine stabile Koalition finden konnte?
Koalitionen sind Bündnisse auf Zeit, nie eine Liebesheirat. Unter Führung der Grünen in eine Koalition einzusteigen, war dabei sicher noch einmal eine besonders große Herausforderung. Aber eben auch eine große Chance und alternativlos, wenn man mitregieren will. In Frankfurt hat die FDP spannende Dezernate, auf die es ankommt. Wirtschaft ist extrem wichtig für die Profilschärfe, da leistet Stephie Wüst sehr gute Arbeit. Mit Blick auf die Herausforderungen einer Großstadt und eine sich stark entwickelnde Gesellschaft, ist aber auch das Ordnungsdezernat mit Annette Rinn sehr wichtig. Wir sehen ja gerade in der Debatte über das Ausländeramt, wie eng das Ausländerrecht und wirtschaftliche Entwicklung zusammenliegen können. Die Voraussetzungen sind also gut, um Schlimmstes zu verhindern und eigene, bürgerliche Akzente zu setzen.
Bereits seit Jahren kritisierst Du die schwierige Zusammenarbeit zwischen Frankfurt und den Umlandgemeinden. In welchen Bereichen wünscht Du Dir ein Umdenken?
In Steinbach wohne ich keine zehn Minuten von Frankfurt entfernt, habe manchmal aber den Eindruck, auf einem anderen Planeten zu leben. Die Zusammenarbeit mit den Umlandgemeinden gelingt der Stadt leider bis heute nicht. Es regiert das Kleinklein, obwohl gerade das Denken im Greater Frankfurt vom Taunus bis nach Hanau riesige Potenziale bieten würde. Mein Wunsch wäre deshalb ein Fokus auf große Linien und weniger kommunalpolitisches Geplänkel. Die Stadt verdankt ihren Reichtum der guten internationalen Erreichbarkeit durch Flugzeug, Bahn, Straße und Binnenschifffahrt – nicht der Frage, ob das Mainufer mit dem Auto befahren werden kann oder Gehsteige 1,50m oder 1,70m breit sind. Viel entscheidender ist es, dass Frankfurt seiner Aufgabe als wichtigste westdeutsche Metropole gerecht wird, was Wachstum, Aufstiegsversprechen, Digitalisierung, den Finanzplatz und die Wertschöpfung im Ballungsraum angeht.